Landesparteitag AfD MV
Schwerin, 26.09.2015


Konrad Adam

In Verteidigung der bürgerlichen Freiheit

Neue Parteien haben es schwer. Und nirgends schwerer als in Deutschland, wo sich die bestehenden, nicht zu Unrecht so genannten Altparteien zu einem Kartell zusammengeschlossen haben, das sie wie eine Festung verteidigen. Mitbewerber werden als illegal betrachtet, als Diebe behandelt und wie Feinde bekämpft. Denn das Kartell will seine Beute, die Zahl der Ämter und Mandate, der Pfründen und Sinekuren, mit niemandem und nichts auf dieser Welt teilen. Wenn der Neuling dann auch noch so leichtsinnig, so kurzsichtig oder so dumm ist, seine Kräfte zu verzetteln und die Pfeile, statt auf den Gegner, auf die eigenen Truppen abzuschießen, dann ist die Schlacht schon halb verloren – zur Hälfte nur, wie ich in Ihrem und meinem Interesse sowie zum Nutzen unseres Landes hoffe. Um dieser Hoffnung Ausdruck zu geben, ihr Auftrieb, vielleicht sogar Flügel zu verleihen, bin ich hierhergekommen. Wie jedes Land sehnt sich auch Deutschland nach einer lebenswerten Zukunft – einer Zukunft, die ihm zwar unentwegt versprochen, tatsächlich allerdings verspielt, verzockt, vergessen und veruntreut wird. „Wir schaffen das“ hat Angela Merkel versichert. „Mit dieser Regierung sicher nicht“, setze ich hinzu.

Man nennt uns gern und immer wieder eine Ein-Themen–Partei. Und glaubt, uns damit etwas Böses anzuhängen; was ich jedoch nicht glaube. Denn in der Tat: wir stellen gern ein Thema in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte – mal den gescheiterten Euro, mal die verfehlte Steuer-, Renten-, Familien-, Bildungs-, Außen-, Verkehrs-, Energie- und Asylpolitik. Ich finde da so bald kein Ende, Sie ja wohl auch nicht, weil diese kopflose Regierung den Offenbarungseid gleich mehrfach täglich leistet. Sie als orientierungslos zu bezeichnen, ist pure Schmeichelei, denn wie wollen Sie sich orientieren, wenn sie den Kopf verloren haben? Angesichts der zahllosen Trümmerhaufen, die den Weg dieser Regierung markieren, wird es uns an Themen nicht fehlen. Den größten Trümmerberg entdecke ich im Zentrum der Politik, dort, wo früher einmal die Statue der Freiheit stand. Ich meine die ganze, die ungeteilte, die bürgerliche Freiheit in jener Form, die ihr die französischen Revolutionären verleihen hatten, als sie erklärten: die Freiheit besteht darin, alles zu denken, zu sagen und zu tun, was einem anderen nicht schadet. Von dieser Freiheit ist nur wenig übriggeblieben, viel zu wenig. Weshalb ich über sie kurz sprechen will.

Im Kern besteht sie aus dem Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, in der Gedankenfreiheit also, die das Grundgesetz ja nicht zufällig als erstes von allen Freiheitsrechten nennt. „Die Gedanken sind frei“ heißt es in einem alten deutschen Lied, das die meisten von Ihnen wohl noch kennen werden. Das stimmt jedoch nicht mehr. Es stimmt schon längst nicht mehr, wie jeder weiß, der Zeitung liest, die Tagesschau verfolgt oder einem unserer Spitzenpolitiker sein müdes Ohr leiht. Fachleute für Kommunikation und Demoskopie, Spin-Doktoren, Mediengewaltige und allerlei Drahtzieher im dichten Geflecht der „sozial“ genannten Netzwerke haben es dahin gebracht, dass die Gedanken keineswegs mehr frei sind; sie werden gegängelt und kontrolliert, belohnt oder bestraft, so lange und so gründlich, bis nur noch eine Meinung herrscht, die Meinung der Herrschenden. Eine mächtige Sprach- und Gesinnungspolizei ist damit beschäftigt, die Grenzen, innerhalb derer wir politisch korrekt reden, schreiben und denken dürfen, immer enger zu ziehen. Technisch gerüstet und wissenschaftlich angeleitet, tun sie dieselbe Arbeit, die früher der Zensor erledigt hatte.

Gewiss, eine Zensur findet nicht statt; so steht es ja im Grundgesetz. Doch eine Zensur ist auch gar nicht nötig, wenn man die Sprache unter Druck setzt und ihren Wortschatz so verengt, dass sich vieles von dem, was man sagen will, gar nicht mehr sagen lässt. In dieser Kunst der Sprachverengung und -verarmung hat es die moderne Gedankenpolizei weit gebracht. Sie hat aus der Vergewaltigung eine Beziehungstat, aus dem Straftäter einen Aktivisten, aus dem Schmarotzer einen Schutzbefohlenen, aus dem Krieg eine humanitäre Intervention und aus dem Ladendieb einen unconventional shopper gemacht. Tagtäglich werden uns diese politisch korrekt verpackten Lügen vorgekaut – so lange, bis sie von uns, mal aus Gedankenlosigkeit, mal aus Überzeugung geschluckt werden. Einer Zensur bedarf es dann nicht mehr; der Eingriff, das Verbot, die Strafe werden überflüssig, weil die Zuwiderhandlung gar nicht mehr möglich ist. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren, sagte man früher, heute müsste es heißen: Wo das Wort fehlt, da fehlt auch der Gedanke. In der politisch korrekt eingenordeten Sprachwelt läuft die Meinungsfreiheit leer. Die Grenzen meiner Sprache, hat ein kluger Mann einmal gesagt, sind die Grenzen meiner Welt: wie Recht er damit hatte!

Der Angriff auf die Wirklichkeit erfolgt seit jeher über die Sprache. Denn Sprache verändert das Denken, und Denken verändert die Welt. Wie schafft man das? Wie bringt man die Leute dazu, die Dinge auf den Kopf zu stellen und Wahrheit Lüge, Freiheit Sklaverei und Friede Krieg zu nennen? Ganz einfach: durch Sprachpolitik, durch ständige Wiederholung, gnadenlose Indoktrination und, bei Bedarf, den festen Zugriff, die harte Strafe. Hinter der Propaganda, wusste schon Dr. Joseph Goebbels, muss immer ein scharfes Schwert stehen, sonst wirkt sie nicht. Seine Nachlassverwalter, die Mediengurus von heute, wissen das natürlich auch; und richten sich danach. Sie lassen die Menschen nicht in Ruhe, reden und hämmern auf sie ein und fahren ihnen über den Mund, wenn sie es wagen, ihn zu öffnen. Geschieht das oft und konsequent genug, dann glauben sie am Ende wirklich, dass es den Unterschied von Mann und Frau, den wir doch alle kennen, die meisten von uns ja wohl auch schätzen – dass es den wohlbekannten Unterschied nicht gibt, dass er Produkt einer gesellschaftlichen Vereinbarung, einer sozialen Konstruktion ist, die mit Hilfe von Volksaufklärung und Propaganda dekonstruiert, also hinterfragt, verändert und beseitigt werden muss. Wenn man in dieser Absicht das gender mainstreaming zur Richtlinie der Politik macht, wenn man der Wirtschaft Quoten verordnet und Hunderte von Professuren für gender studies einrichtet, hat man gewonnen. Denn dann hat man die Wissenschaft auf seiner Seite und kann im Rückgriff auf irgendwelchen Erkenntnisse aus irgendwelchen Studien behaupten, was dem Augenschein widerspricht.

Etwa, dass Bi- oder Transsexualität die Regel sei, die erst durch gesellschaftlichen Zwang entstellt und auf den simplen Gegensatz von Mann und Frau verengt worden sei. Danach kommt dann die Schule an die Reihe und bringt den sozial deformierten Menschenkindern möglichst früh, also schon im Grundschulalter bei, am „bisexuellen Vollkommenheitsanspruch“ – so wörtlich in einem weit verbreiteten Lehrbuch – festzuhalten. Ent-Naturalisierung heißt das Programm, das unter der Führung von Leuten, die zwischen Pädagogik und Pädophilie nicht unterscheiden können – oder wollen -, in allen progressiven Ländern benutzt wird. Ich halte das für ausgemachten Unfug – allein schon deshalb, weil alle, die so reden, ihre Existenz ja eben jener zweigeschlechtlichen, auf Gegensatz und Spannung ausgerichteten Natur verdanken, die sie als Irrtum, als Verarmung anprangern und deshalb korrigieren, abschaffen, ent-naturalisieren wollen. Aber was tun, wenn der Unfug im Namen der Wissenschaft vorgetragen, von den Grünen verherrlicht und von den Roten verordnet wird? Dann glauben die Leute am Ende wirklich, dass es den Unterschied von Mann und Frau nicht gibt.

Und sind wir denn in diese Richtung nicht schon gut vorangekommen? Sprachpolitik macht vieles möglich, ja fast alles. Wer Wörter und Begriffe dekonstruiert, sie umdeutet und mit neuem Inhalt füllt, landet am Ende beim Gegenteil von dem, was ursprünglich einmal gemeint war. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ hieß es im Grundgesetz – der besten Verfassung, die Deutschland in seiner wechselvollen Geschichte jemals besessen hat. Diese einfache Bestimmung ist so lange verwässert und aufgeschwemmt, erweitert, neu ausgelegt und mit Kautelen versehen worden, bis sich der Unterschied zwischen Flüchtlingen und Verfolgten, Einwanderern und Schutzbefohlenen, Asylsuchenden und Migranten restlos verloren hatte. Die Folgen dieser überaus erfolgreichen Dekonstruktion zeigen sich in den Menschenströmen, die Europa überschwemmen und die Gemeinschaft in eine existentielle Krise gestürzt haben. Jedes Land versucht sich auf Kosten eines anderen zu entlasten, sich Vorteile zu verschaffen und gesundzustoßen, und schreckt dabei auch vor Vertragsbruch und Erpressung nicht zurück. Wollten die Europäer mit dem, was sie in Dublin beschlossen haben, ernstmachen, würde kein einziger von denen, die jetzt in Massen zu uns kommen, Zuflucht in Deutschland finden. Denn jeder von ihnen nahm seinen Weg ja über einen sicheren Drittstaat. Aber das kümmert die Europäer nicht, die Kanzlerin schon gar nicht. Sie macht den Vertragsbruch zur Grundlage ihrer Politik. Und das nennt sich dann Rechtsgemeinschaft!

Natürlich wissen auch wir, dass Deutschland infolge seiner gründlich deformierten Bevölkerungsstruktur Einwanderer braucht; hier in Mecklenburg werden Sie das am allerbesten wissen. Nur eben nicht nach Lust und Laune, sondern nach Gesetz und Recht. Wir schätzen es nicht, wenn Menschen zu uns kommen, die ihre erste Straftat schon beim Überschreiten der Grenzen begangen haben, indem sie ihre Pässe fortwarfen und sich die Fingerkuppen verätzten, um ihre Herkunft zu verschleiern. Wir werden niemanden bei uns willkommen heißen, der sich den Behörden widersetzt und gar nicht daran denkt, die Gesetze des Landes zu beachten, das ihm Hilfe gewährt und Zuflucht geboten hat. Wir halten daran fest, dass Einwanderung etwas anderes ist als Hilfe in der Not; dass nur Einwanderungswillige integriert, also dauerhaft angesiedelt werden sollen; und dass die Integration beide Seiten fordert – beide, wie gesagt, die Ankommenden genauso wie die Aufnehmenden; nicht nur uns also, sondern die anderen auch. Wir haben erfahren, dass ein Zusammenleben in Frieden und Freiheit ohne allseits respektierte Regeln nicht möglich ist. Und wir bestehen darauf, dass es das Gastland ist, das diese Regeln setzt, nicht die Gäste. Deswegen werben wir dafür, die immer wieder angemahnte Willkommenskultur für Zuwanderer durch eine Willkommenskultur für Kinder, für unsere eigenen Kinder, zu ergänzen. An der fehlt es in Deutschland nämlich auch, mit katastrophalen Folgen für die Zukunft unseres Landes. Auch davon wissen Sie in Mecklenburg ein Lied zu singen.

Von Wolfgang Schäuble haben wir gelernt, dass die Ausgaben für Flüchtlinge und Migranten „absoluten Vorrang“ bei der Haushaltsplanung haben. Soll heißen: Priorität vor allem, was es sonst noch gibt, Priorität vorm Schuldenabbau; Priorität vorm Klimaschutz; Priorität vorm Ausbau von Schulen, Verkehrswegen, Kindergärten, Altenheimen und so weiter. All das ist dem Minister nicht so wichtig, Vorrang haben die sechs, vielleicht auch zehn Milliarden für die Versorgung von Ausländern, Zugereisten, Flüchtlingen und Migranten: Fremden also. Das hehre Ziel macht wahre Wunder möglich: 3.000 Polizisten sollen mobilisiert, 1.000 Lehrer neu eingestellt werden – Lehrer und Polizisten, die nicht vorhanden oder unbezahlbar waren, als es darum ging, Sachsen und Brandenburger vor allerlei räuberischen Grenzgängern zu beschützen oder ihren Kindern das Maß an Aufsicht und Betreuung zuteilwerden zu lassen, das ihnen laut Gesetz zusteht. Angesichts solcher Prioritäten drängt sich die Frag auf, wem gegenüber unsere Politiker denn jene Verantwortung empfinden, zu der sie sich so oft und laut bekennen: Verantwortung vor uns, dem Volk, vor dem Gewissen oder vor Gott? Die Antwort heißt: vor keinem von den dreien. Der liebe Gott ist fern, das Gewissen ist Scheiße – diese Erkenntnis verdanken wir dem früheren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla – und das Volk – ja das Volk steht zwar im Grundgesetz, aber was ist das Grundgesetz noch wert?

Da wir die Meinungsfreiheit schon hatten, frage ich weiter. Wie steht es um die übrigen Grundrechte, um die Versammlungsfreiheit zum Beispiel? Gedacht war sie als Recht der Bürger, sich gegen eine unliebsame Regierung demonstrierend zur Wehr zu setzen. Inzwischen ist daraus das Gegenteil geworden, denn heute dient die Versammlungsfreiheit der Regierung dazu, sich beim Aufstand der Anständigen an die Spitze zu setzen und gegen die Bürger, das Volk, den Mob, das Pack zu demonstrieren. Was ist aus dem Briefgeheimnis geworden, wenn der Geheimdienst auf Verdacht mithören, mitgucken und mitschreiben darf – Sie kennen das ja? Was aus der Unverletzlichkeit der Wohnung, wenn die Behörde wildfremde Leute bei uns einquartieren darf? Die Freiheit stirbt langsam, Zug um Zug. Wenn sie am Ende ist, haben die Bürger ausgedient, mit ihnen auch das Grundgesetz, das die Regierung dazu verpflichtet, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm fernzuhalten. Mit solchen Formulierungen erweist sich die Verfassung nach Ansicht aller fortschrittlichen Kräfte als ebenso vormodern, konservativ, überholt, inhuman, fremdenfeindlich, islamo- oder xenophob wie das Volk, das sich auf sie beruft. Beide sind antiquiert, beide gehören abgeschafft. Thilo Sarrazin wusste schon, warum er für seinen Bestseller den Titel wählte: Deutschland schafft sich ab.

Wer glaubt, die säkulare Herausforderung, der sich ja nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa gegenübersieht, mit Zeltstädten und Integrationskursen, mit Tee und warmen Decken bestehen zu können, ist im besten Fall naiv. Denn jetzt geht es ums Ganze, um die Bewahrung und Verteidigung der demokratischen Substanz, die Wertbestände der immer wieder so genannten Wertegemeinschaft. „Das demokratische Recht ist das Recht aller Bürger, ihr Land zu verlassen; es ist aber nicht das Recht aller Bürger dieser Welt, in dieses oder jenes Land einzureisen und sich dort dauerhaft niederzulassen. Eine Demokratie, die sich herbeiließe, jeden, der es wünscht, aufzunehmen, würde diese Regelung nicht überleben“ – sagt kein Rechter aus Deutschland, sondern ein linker Franzose, André Glucksmann. Ganz ähnlich wie sein Landsmann Michel Houellebecq sieht er eine Zeit voraus, in der es verboten ist, zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu unterscheiden. Mit der vorhersehbaren Konsequenz, dass wir uns dann als Fremde im eigenen Land fühlen werden.

Wollen wir das? Ich will es nicht; und Sie vermutlich auch nicht. Gewiss verändert sich die Welt; das hat sie immer schon getan, wird das auch weiter tun müssen, viel schneller noch als früher – und eben damit viele, wahrscheinlich die meisten von uns überfordern. Deswegen sollte das Tempo der Veränderung ermäßigt, dem menschlich Zumutbaren angepasst, nicht umgekehrt das Maß der Zumutungen dem Fortschrittstempo angeglichen werden. Die Europäische Union tut allerdings das Gegenteil, wenn sie versucht, die Menschen in eine Zukunft zu peitschen, die sie ganz offenbar nicht wollen. Sie ruiniert damit, was sie bewahren oder fördern will, das Zusammenwachsen des Kontinents, die Solidarität der Völker und der Staaten. Ich finde es schwer erträglich, dass die Berufseuropäer den Griechen Reformen aufdrängen wollen, die im Interesse der Banken liegen; im Interesse der Menschen, der Wähler, der Bürger aber sicher nicht. Was berechtigt uns dazu, von einem griechischen Bauern zu verlangen, genauso zu leben, zu denken und zu arbeiten wie wir? Wenn er es vorzieht, eine mehrstündige Mittagspause einzulegen und diese Zeit unter dem Olivenbaum zu verträumen, dann soll er das in Gottes Namen tun. Wir haben kein Recht, ihn davon abzuhalten und ihm unsere Lebensgewohnheiten aufzuzwingen.

Die Berufseuropäer sehen das anders. Mit Hilfe der Troika, eines Triumvirats, das ernannt, nicht gewählt worden ist, haben sie die Demokratie in Griechenland, dort also, wo sie vor zweieinhalbtausend Jahren erfunden worden war, nicht nur zur Diskussion gestellt, sondern faktisch abgeschafft. Die Frage: Wen er denn wählen wolle? hat ein enttäuschter Grieche mit der Gegenfrage beantwortet: „Wozu denn noch? Diejenigen, die ich wählen kann, haben nichts zu sagen; und diejenigen, die das Sagen haben, habe ich nicht gewählt.“ Das trifft die Lage. Im Blick auf Griechenland können wir ermessen, was uns bevorsteht, wenn die Demokratie durch eine Post-Demokratie ersetzt wird: durch eine Expertenherrschaft, die dem Bürger nur deshalb aufs Maul schaut, um es ihm umso gründlicher zu stopfen. In Griechenland haben diese Experten eine Regierung aus dem Amt gejagt, ein Parlament entmachtet und Millionen von Bürgern das Wahlrecht entzogen – und das im Namen einer Staatengemeinschaft, die sich brüstet, die Demokratie zu fördern. Jetzt geht Europa bei dem Versuch voran, sie abzuschaffen.

Was heute in Griechenland passiert, nannte man früher eine Fremdherrschaft. Die fremden Herren waren unbeliebt, man hat sie bekämpft und aus dem Land gejagt oder, wo das nicht möglich war, aufs Schafott geführt und enthauptet. Diese blutigen Zeiten sind glücklicherweise vorbei; zu Recht hat Karl Popper den alles entscheidenden Vorteil der Demokratie in der Möglichkeit gesehen, eine unfähige Regierung ohne Blutvergießen wieder los zu werden. Aber gilt das noch? Wie sollen die Griechen von den Experten, die dort die Herrschaft übernommen haben, wieder freikommen? Sie können wählen, wie sie wollen: die Fachleute, die ihr Mandat von oben, nicht von unten haben, bleiben an der Macht – so lange, bis die Griechen dazu bereit sind, das zu tun, was die fremden Herren von ihnen verlangen; also zahlen. Oder den Staatsbankrott riskieren – mit unabsehbaren Folgen für jeden einzelnen von ihnen – und für uns, ihre Hauptgläubiger. Gerettet, meine Damen und Herren, werden doch keine Bürger, gerettet werden Banken. Und zahlen müssen weder ein Finanzminister noch irgendwelche Bankvorstände, sondern abermals wir, die Bürger. Das ist die Post-Demokratie, mit der die Griechen heute schon Bekanntschaft schließen. Und die auch uns bevorstehen könnte, wenn wir nicht aufpassen und die Demokratie – oder das, was von ihr übrig ist – verteidigen.

Diejenigen, die nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gegen die aussichtlose Rettungspolitik auf die Straßen gehen, tun das. Indem sie für den Erhalt von Recht und Gesetz, von Abkommen und Vertrag eintreten, verteidigen sie die Demokratie. Natürlich wissen sie, dass sich die Griechen den Auflagen und Abmachungen, die sie seinerzeit eingegangen sind, systematisch entzogen haben. Sie wissen aber auch, dass die Berufseuropäer die letzten sind, ihnen das vorzuhalten. Sie haben nämlich nicht vergessen, was Christine Lagarde, damals französische Finanzministerin, inzwischen Chefin des Internationalen Währungsfonds, gesagt hatte, als sie von den vertraglich vereinbarten Maastricht-Kriterien abrückte: „Wir haben die Verträge gebrochen“, sagte sie, „um den Euro zu retten“ – Vorwände finden sich immer. Die Griechen haben sie auch gefunden. Sie haben nachgemacht, was ihnen die Muster-Europäer vorgemacht hatten. Wer darf sie dafür schelten?

So geht es weiter, niemand weiß, wohin. Wenn Recht und Gesetz, Vertrag und Abkommen nichts mehr gelten, ist alles möglich. Dann steht die Solidarität der Europäer nur auf dem Papier, und jeder Staat ist froh, seine Probleme zu Lasten seines nächsten oder übernächsten Nachbarn lösen zu können: Die Griechen schicken ihre Flüchtlinge nach Makedonien, die Makedonen nach Serbien, die Serben nach Ungarn, die Ungarn nach Österreich, die Österreicher nach Deutschland. Dorthin strebt alle Welt, weil die Deutschen jeden, der kommt, einen refugee nennen und ihn welcome heißen – Schleuser und Salafisten eingeschlossen. Sie müssen nur das Wort „Asylum“ über die Lippen kriegen, und schon sind sie drin. Mit einer solchen Politik bringt man das Gegenteil von dem hervor, was man verkündet. Statt die Herzen zu öffnen, verschließt man sie, sät Misstrauen, schürt Ängste und bringt ganze Völker gegeneinander auf. Noch nie war Deutschland bei seinen Nachbarn so unbeliebt wie heute – nicht obwohl, sondern weil es ihnen mit Milliardensummen unter die Arme greift. Spanien und Portugal, selbst hochverschuldet, helfen den Griechen mit Geld, das sie sich selber leihen mussten, handeln sich damit aber keinen Dank ein, sondern den Vorwurf, die Regierung stürzen zu wollen. Man fasst sich an den Kopf; aber man versteht, warum Roman Herzog, der frühere Bundespräsident, die EU ein Projekt des höheren Irrsinns nannte.

Um diesen Irrsinn hinter uns zu bringen, müssen wir Ernst machen mit dem Ruf nach Subsidiarität. Die Kompetenzen also so verteilen, dass oben, in Brüssel, nur das entschieden wird, was weiter unten, auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene, nicht ebenso gut, wahrscheinlich sogar besser erledigt werden kann. Die Frage, wer zu uns passt und wer nicht; wem wir uns verbunden fühlen und wem nicht; wen wir unterstützen wollen und wen nicht – diese und ähnliche Fragen können sinnvollerweise nur von uns selbst beantwortet werden, nicht stellvertretend durch irgendeine fremde Macht in Brüssel. Hier ist viel schiefgelaufen, nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa; Protestbewegungen wie die Schwedendemokraten, die Wahren Finnen, der Vlaams Belang, aber auch die UKIP in England und der Front National in Frankreich lassen das erkennen. Die Bürger wehren sich dagegen, in der alles entscheidenden Frage, wer in ihrem Kreis willkommen ist und wer nicht, von einer supranationalen Bürokratie über den Tisch gezogen zu werden. Sie wollen selbst entscheiden, Herr im Hause bleiben; und haben sie kein Recht dazu?

In Deutschland offenbar nicht. Als Folge eines einseitig gelenkten Meinungsklimas ist ein rechtsfreier Raum entstanden, in dem die Ohnmacht regiert, die Willkür entscheidet und das Chaos die Regeln setzt. Nur ein Bruchteil der Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, werden auf der Basis des Grundgesetzes als politisch Verfolgte anerkannt; der große Rest genießt einen subsidiär genannten Rechtsschutz, der aus ganz anderen Quellen schöpft als aus dem Grundgesetz. Mit anderen Worten: die Verfassung läuft leer; die Genfer Flüchtlings-Konvention ist faktisch außer Kraft gesetzt; das Abkommen von Dublin wird systematisch unterlaufen: all das im Namen von Europa, Humanität und Menschenrecht. Jeder Sportverein kann Ihnen sagen, wer dazu gehört und wer nicht; der deutsche Innenminister kann oder will das aber nicht. An die 600.000 Menschen leben in Deutschland, ohne dazu berechtigt zu sein, mehr als die gleiche Zahl kommt dieses Jahr hinzu; und niemand weiß, was aus ihnen – und aus uns – dabei werden soll. Diesen Wildwuchs zu kritisieren und rechtsförmige Verhältnisse anzumahnen, wäre unter normalen Umständen Aufgabe eines Verfassungspatrioten. Unter solchen Umständen leben wir aber nicht, wir leben in Deutschland. Wer hier für die Verfassung eintritt, muss damit rechnen, als ewiggestrig ausgelacht und angeprangert zu werden. Wenn das so weiter geht, wird es Zeit, sich auf Bert Brecht zu besinnen und eine neue Regierung zu wählen, bevor die Regierung auf den Gedanken kommt, sich ein neues Volk zu wählen.

Widersetzen wir uns also, so lang dazu noch Zeit ist, der Politik des Wegsehens und Wegschiebens, des Schönredens und Schönlügens, wie sie die Altparteien seit Jahr und Tag betreiben. Dass sie keine Zukunft hat, ist doch für jedermann erkennbar. Starke Wirtschaft und schwache Familie: wie soll das halten? Reich an Geld und arm an Kindern: wo soll das enden? Weltmeister beim Maschinen-Export und Schlusslicht bei den Geburten: wie passt das zusammen? In meinen Augen passt es ganz und gar nicht, und deshalb sollten wir es ändern. Wir werben für eine Steuer- und Abgabenpolitik, die ernstmacht mit dem Gebot der Belastung nach Leistungsfähigkeit. Ein neu gestalteter Lasten- oder Leistungsausgleich soll der Familie das lassen, was sie braucht, um den ihr von der Verfassung zugewiesenen Auftrag tatsächlich auch zu erfüllen. Familie sei da, wo Kinder sind, sagen die Altparteien. Wo Kinder sind, da ist die Zukunft, sagen wir. Wir wissen nämlich, dass die Zukunft ein Gesicht hat. Und dass dies Gesicht jung aussieht, nicht alt – einem Siebzigjährigen wie mir werden Sie diese Bemerkung nachsehen.

Um ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen und allmählich zum Abschluss zu kommen: unsere politische Grundordnung, die parlamentarische Demokratie, ist ins Gerede gekommen. Sie hat die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht, hat diese Grenzen offensichtlich überschritten. Deswegen wollen wir die leerlaufende Parlamentsherrschaft durch plebiszitäre Elemente, durch Abstimmungen und Referenden nach Schweizer Muster ergänzen – ergänzen, wie gesagt, nicht ersetzen. Trotz aller Unzulänglichkeiten und aller Mängel sind wir überzeugt davon, dass Winston Churchill Recht hatte, als er die Demokratie die schlechteste aller Staatsformen nannte – wenn man von allen anderen absieht. Das Referendum hat den Vorzug, durch seine bloße Existenz zu wirken. Es warnt die Volksvertreter vor der Gefahr, sich von den Vorstellungen, den Wünschen und Befangenheiten des Volkes allzu weit zu entfernen. Tun sie das doch, müssen sie damit rechnen, dass irgendeiner aus der Mitte des Volkes aufsteht und die Politiker daran erinnert, dass sie ihr Mandat den Wählern verdanken, nicht den Parteien. Die meisten Abgeordneten neigen dazu, das zu vergessen; weshalb sie hartnäckig daran erinnert werden müssen. Dem dient das Referendum.

Demokratie heißt eben Volksherrschaft – von der ohne das Volk nur die Herrschaft übrigbleibt; und das wollen wir nicht. Die Altparteien glauben immer noch, sich an die Mahnung halten zu müssen, die Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, vor Jahren und Jahrzehnten ausgegeben hatte. Als über das Grundgesetz beraten wurde, meinte er, dass nach den Erfahrungen der Weimarer Republik jetzt alles darauf ankomme, die Regierung vor dem Volk zu schützen. Das war schon damals die falsche Konsequenz, denn Weimar ist ja nicht an der Torheit der Wähler gescheitert, sondern am Eigennutz der Parteien. Statt falsche Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, sollten wir uns auf das Grundgesetz besinnen. Dort steht, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und von ihm, dem Volk, durch Wahlen und Abstimmungen wahrgenommen wird – die Abstimmung wird ausdrücklich erwähnt: warum nutzen wir sie nicht? Das selbstherrliche Gebaren der Parteivertreter lässt doch schon lange danach fragen, ob es nicht Zeit ist, die Heuss´sche Mahnung umzukehren und nicht die Regierung vor dem Volk, sondern das Volk vor der Regierung zu schützen.

Meine Damen und Herren: der Bürger stört, er stört die Herrschenden beim Herrschen. Frau Merkel möchte, wie sie sich ausdrückt, „durchregieren“ – und dazu kann sie Wahlen nicht gebrauchen, Abstimmungen schon gar nicht. Erinnern Sie sich noch? Dreimal, in Frankreich, Irland und den Niederlanden, sind die Bürger danach gefragt worden, was sie vom Einheitsbrei der Europäer, dem ewigen Erweitern und Vertiefen, halten. Dreimal haben sie „Nein“ gesagt; und dreimal haben die Machthaber weitergemacht, als wäre nichts gewesen. Die Bundesregierung hat aus alledem den Schluss gezogen, die Deutschen gar nicht erst zu fragen. Die Ägypter dürfen abstimmen, wenn ihnen eine neue Verfassung zugemutet wird. Die Deutschen dürfen das nicht, dafür sind sie ganz offensichtlich noch nicht reif genug, historisch zu belastet oder schlicht zu dumm.

Das sollten wir uns nicht bieten lassen. Wir sollten auf unseren Rechten als Bürger dieses Landes bestehen, unser Geschick selbst in die Hand nehmen und unsere Freiheiten verteidigen, wo immer sie bedroht sind. Tun wir das nicht, halten wir uns abseits, geben wir der Enttäuschung nach, ziehen wir uns zurück und lassen den Dingen ihren Lauf, dann dürfen wir uns nicht wundern oder darüber klagen, dass wir von Leuten regiert werden, die es im Zweifel schlechter machen als wir: schlechter, nicht besser! Ich will das nicht. Wenn Sie das auch nicht wollen, dann halten Sie durch, engagieren Sie sich und geben Sie nicht preis, was Sie so teuer erkauft haben.