Ostsee-Zeitung vom 09.07.2016.

OZ: Herr Holm, vom Radiomoderator zum Politiker – was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Holm: Der akute Auslöser war die Griechenlandkrise 2010. Mich hat das als Volkswirt maßlos aufgeregt, weil abzusehen war, dass die Eurorettung nicht funktionieren kann. Nach sechs Jahren ist klar, dass wir recht hatten. Aber Merkel und Schäuble werfen dem schlechten immer wieder gutes Geld hinterher. Damals war ich auf der Suche, wo man mithelfen kann, das Problem kritisch zu begleiten. Deshalb schloss ich mich der Wahlalternative 2013 von Bernd Lucke an und gründete hier im Land die AfD mit. Aber eigentlich wollte ich nie in die Politik gehen.

Warum war der Wunsch dennoch stärker als Moderator zu bleiben?

Ich bin schon immer ein sehr politischer Mensch gewesen, geprägt durch die Wendezeit 89/90, als wir plötzlich als junge Menschen spürten, was alles geht: Freiheit. Die AfD hat sich auf die Fahnen geschrieben, auch die Freiheit der Andersdenkenden zu verteidigen. Wir müssen als Bürger etwas Neues wagen gegen das verkrustete Parteiensystem.

Apropos Freiheit. Ihre Partei ist so stark geworden wegen des Flüchtlingszustroms. Menschen verlassen ihr Land, weil dort Krieg herrscht, und suchen Freiheit. MV schiebt bereits viel ab, und Sie kritisieren trotzdem. Warum?

Weil die Politik der fortgesetzten Rechtsbrüche und die der Überforderung der Deutschen falsch ist. Freiheit ist ein wichtiges Grundrecht, das heißt aber nicht, dass alle die Freiheit haben, nach Deutschland zu kommen. Wir sind nicht fremdenfeindlich und rassistisch. Natürlich will auch die AfD Flüchtlingen helfen. Aber wir müssen klar unterscheiden. Zwei Drittel der Flüchtlinge sind nicht verfolgt. Diese suchen nach wirtschaftlicher Verbesserung. Das kann ich völlig nachvollziehen. Wir werfen aber der Politik vor, dass sie nicht im Interesse der eigenen Bürger die Zuwanderung kontrolliert und begrenzt. Wir dürfen unser eigenes Land nicht überfordern. Wir sollten vor Ort helfen – zum Beispiel mit Auffanglagern.

Bei AfD-Politikern auf Marktplätzen hört sich das anders an. Dort werden Sorgen geschürt vor Überfremdung.

Vielleicht ist bei dem einen oder anderen mal ein falscher Zungenschlag dabei. Aber natürlich müssen wir bei eineinhalb Millionen Migranten in einem Jahr auch über Überfremdung sprechen. Davor haben die Menschen in der Tat Angst. Einwanderung in Maßen ist völlig in Ordnung. Aber eine unkontrollierte Massenzuwanderung wie im letzten Jahr können wir uns nicht leisten. Nicht nur finanziell. Wir wollen unsere kulturelle Identität bewahren.

Mohamad Aldghim (Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien als Gast-Interviewer): Warum sind Sie gegen Flüchtlinge? Wir können Ihnen auch helfen?

Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, wir haben etwas gegen Politik, die es ermöglicht, dass viel zu viele herkommen. Noch mal, wir wollen Bürgerkriegsflüchtlingen helfen. Das heißt aber nicht, dass alle Syrer nach Deutschland kommen können. Wir müssen eine Obergrenze einziehen.

Aldghim: Wir könnten Ihnen hier in Deutschland helfen.

Ich fände es gut, wenn Sie hier Ihren Abschluss vollenden und dann nach Ende des Bürgerkriegs nach Syrien zurückgehen. Gerade als Bauingenieur sind Sie doch beim Wiederaufbau in Ihrem Land gefragt.

Aldghim: Viele Flüchtlinge würden gern Ihre Familien nachholen. Was denken Sie?

Genau deswegen brauchen wir eine Obergrenze. Es wäre sinnvoll, wenn Flüchtlinge ihre Familien für eine befristete Zeit nachholen können. Aber wir können eben nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen, die alle langfristig Bleiberecht erhalten. Dann erleben wir einen schleichenden Bevölkerungsaustausch.

OZ: Was hätten Sie 2015 anders gemacht, als Kanzlerin Merkel sagte: Grenze auf? Und was machen Sie, wenn die Obergrenze erreicht ist?

Ich hätte von vornherein gesagt: Grenze zu.

Ist das nicht unmenschlich, wenn Menschen auf der Flucht sind?

Niemand muss aus Österreich nach Deutschland flüchten, bei unseren Nachbarn gibt es keinen Krieg. Zudem hat Merkel mit der Öffnung der Grenze den Magneten erst richtig eingeschaltet und damit das Problem deutlich vergrößert. Natürlich hätten wir uns als Europäer um die bis dahin Angekommenen gemeinsam kümmern müssen. Aber die EU-Länder wären dann auch zu einer Lösung gezwungen gewesen statt die Migranten einfach durchzuwinken im Wissen, dass sowieso alle nach Deutschland wollen.

Wenn Deutschland die Grenzen geschlossen hätte, wäre die EU zerbrochen. Wäre Ihnen das dann egal?

Nein, die EU wäre nicht zerbrochen, wir hätten gemeinsame Lösungen gefunden. Wie sie dann ja Österreich und die Balkanstaaten mit der Grenzbefestigung in Mazedonien umgesetzt haben. Am besten hätte man natürlich die EU-Außengrenzen geschützt. Das ist aber nicht passiert.

Die AfD fordert mehr Sicherheit – mehr Polizei, eine Sicherheitswacht Freiwilliger, Videoüberwachung gegen Kriminalität. Warum?

Wir haben Probleme mit der Kriminalität, auch wenn die Rate langfristig nicht gestiegen ist. Aber gerade im hochsensiblen Bereich der Wohnungseinbrüche und bei grenzüberschreitender Kriminalität muss die Polizei deutlich mehr tun können. Das hat selbst CDU-Chef Caffier eingestanden. Allerdings hatte er zehn Jahre Zeit, daran etwas zu ändern.

Wie verträgt sich Ihr Ruf nach dem starken Staat mit dem Freiheitsgedanken, den Sie auch äußern?

Das schließt sich nicht aus. Sie können Ihre Freiheit nur genießen, wenn Sie auch in Sicherheit leben.

Videoüberwachung ist aber Einschnitt in persönliche Freiheit.

Wir wollen das an Kriminalitätsschwerpunkten. Nicht überall.

Sie wollen volles Strafrecht schon für 18-Jährige. Begründung?

18-Jährige sind erwachsen. Sie dürfen wählen und den Führerschein machen – also müssen sie auch für ihr Tun verantwortlich sein.

Abschaffen wollen Sie auch einiges. GEZ-Gebühren, Zeitumstellung, Gewerbesteuer … Wollen Sie auch etwas schaffen?

Wir wollen mehr Demokratie schaffen, die Macht aus den Händen der Parteien nehmen. Sie regieren in zu viele Bereiche der Gesellschaft hinein: Rundfunkräte, Bestellung der Richter. Wir wollen auch, dass die Bürger den Politikern mehr auf die Finger schauen. Die Quoren bei Volksbegehren müssen weiter gesenkt werden.

Die AfD will stärkste Fraktion im Landtag werden. Kann sie überhaupt mit Verantwortung umgehen? In Baden-Württemberg ist die Fraktion gerade zerbrochen.

Wir sind eine junge Partei, noch keine Politikprofis. Ich denke, dass wir in MV zusammenhalten, weil wir inhaltlich gut gemeinsam agieren. Natürlich decken wir ein breites Spektrum ab, aber wir wollen ja auch Volkspartei sein. Die CSU in Bayern macht das zum Beispiel ganz ordentlich. Da wollen wir hin.

Sie wollen die CSU für Mecklenburg-Vorpommern werden?

Ja, das Ziel ist durchaus eine Art CSU, aber in ehrlich und konsequent.

Dann wäre es auch konsequent mitzuregieren, nicht nur zu kritisieren.

Wir spüren die Verantwortung ja jetzt schon. Wenn wir stärkste Partei sind, müssen wir uns dem auch stellen. Dann würden wir zu Gesprächen einladen und ernsthaft diskutieren wollen.

Sind Sie eine Gruppe von Idealisten oder von Glücksrittern?

Wir sind deutschlandweit mittlerweile über 20000. Da mag es auch Glücksritter geben, wie in jeder Partei. Wir sind aber tatsächlich überwiegend Idealisten. Sonst würden wir diese Bürde nicht auf uns nehmen.

Die Angst geht um, Sie könnten die Gesellschaft soweit nach rechts stellen, dass wir demnächst wieder eine Situation wie zum Ende der Weimarer Republik haben, quasi das Land für Nationalisten sturmreif schießen. Was sagen Sie?

Das ist albern. Jeder, der unsere Programme liest, sieht, dass wir diesen Staat reformieren wollen. Wir wollen keine Revolution und keinen Nationalismus. Wir sind bürgerliche Patrioten.

Schließen Sie eine Zusammenarbeit mit der NPD aus?

Selbstverständlich.

Was machen Sie, wenn sich AfD-Mitglieder anders verhalten?

Wenn jemand die Grenze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überschreitet, würden wir mit harten Maßnahmen reagieren. Das ist die rote Linie.

Kann der Islam zu Deutschland gehören?

Nein. Aber Muslime, die hier heimisch sind und sich an unsere Regeln halten, können zu Deutschland gehören.

In Ihrem Wahlprogramm stehen viele Forderungen, die Geld kosten: für Lehrer, Gesundheit, Straßenbau, Hochschulen, Bahnverbindungen oder Kitas. Wo wollen Sie die Steuern erhöhen?

Man kann nicht davon ausgehen, dass wir das alles sofort umsetzen. Wir haben das Wahlprogramm so aufgesetzt, dass wie den Bürgern einen Fingerzeig geben, in welche Richtung wir gehen wollen. Das Steuersystem wollen wir verändern – so dass die Länder mehr Autonomie erhalten.

Das hieße aber Steuererhöhung. Mehr Wünsche kosten mehr Geld.

Ja, wenn wir alles sofort umsetzen. Aber wir wollen auch die Wirtschaft so stärken, dass sich ein Teil der Kosten selbst trägt. Wir wollen Ernst machen mit Bürokratieabbau und den Kammerzwang aufheben. Wenn die Wirtschaft besser läuft, entstehen mehr Steuereinnahmen.

Sie wollen aber auch die Gewerbesteuer abschaffen.

Und ersetzen durch einen höheren Umsatzsteuer-Anteil.

Glauben Sie, dass es einen Klimawandel gibt?

Ich glaube an gar nichts. Ich bin rational veranlagt. Klimawandel gab es schon immer.

Einen menschgemachten?

Auch daran glaube ich nicht. Mir fehlen einfach die Beweise. Wir wollen das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen, weil es teuer und nicht zielführend ist.

Zurück zu Atom- und Kohlekraft?

Vor allem zu Gaskraft. Wir haben die Ostsee-Pipeline aus Russland. Selbst jetzt in der Energiewende können wir keine Kraftwerke abschalten. Wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint, brauchen wir nach wie vor herkömmliche Energie. Ich halte die Kernenergie für eine Übergangszeit noch für notwendig.